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Magazin für Theologie und Ästhetik


Videoclips II

Besprechungen ausgewählter Videoclips

Andreas Mertin

Bon Jovi: It's my life

Während einer Autofahrt von Hannover nach München Ende Mai 2000 hörte ich an einem Tag auf verschiedenen Sendern das neue Lied von Bon Jovi "It's my life" mehr als fünfzehnmal, regelmäßig begleitet von der Werbung des Internetbuchhändlers amazon, die verkündete, das in Deutschland aktuell noch nicht erschienene Musikstück könne dennoch selbstverständlich bereits jetzt bestellt werden. So werden Superhits gemacht. Das Lied handelt (kaum überraschend) von den Perspektiven des eigenen Lebens: It's my life / It's now or never / I ain't gonna live forever  / I just want to live while I'm alive. Diese populäre Variation des Carpe-Diem-Motivs dürfte weniger eine aktuelle, als vielmehr eine allgemein verbreitete Stimmungslage einfangen. Ein Leben ohne Eschatologie, ein Leben im Präsens, im hier und jetzt, atemlos und immer auf der Suche nach dem rechten Kick. Nur nichts verpassen. Im Clip wird das nun so umgesetzt, dass ein junger Mann von seiner Freundin einen Telefonanruf bekommt, dass ein Gig von Bon Jovi an einem bestimmten Ort stattfinde und ihm nur noch wenig Zeit verbleibt, rechtzeitig an diesem Ereignis teilzunehmen. Und so rennt der junge Mann los ... und rennt und rennt und rennt ... vorbei an der Mutter, das Treppenhaus hinunter, auf einen LKW, wieder vom LKW runter; er begegnet einer Gruppe von Elvis-Imitatoren, deren Konterfeis in einer Serie von Fotos eingefangen werden, rennt unter Brücken durch, kollidiert beinahe mit einem Tanklastzug ... um in allerletzter Sekunde seine Freundin zu treffen, die ihn fragt: Wo warst Du? Und er antwortet: Du würdest es nicht glauben. Wem das alles außerordentlich bekannt vorkommt, täuscht sich nicht. Wer hätte das gedacht, dass Bon Jovi einmal Anleihen bei Tom Tykwers "Lola rennt" machen würde. Bis in Details gehen die Parallelitäten. Und wie bei diesem so lautet auch hier die Botschaft: das Leben an sich und damit auch Dein Leben sind (nur) ein Jump and Run. "Tomorrow's getting harder make no mistake  / Luck ain't even lucky / Got to make your own breaks". Der alternde Rocker Bon Jovi singt für die Playstation-Generation.  


Sting: Desert Rose

Aus Stings Begeisterung für die Stimmgewalt des Prince-of-Rai Cheb Mami ist dieses Stück Crossculture entstanden: eine Verbindung der eingängigen Melodiosität Stings mit dem Rai, einem Mix aus spanischen, französischen, schwarzamerikanischen und arabischen Musikstilen. Das Crossover ist durchaus gelungen. In der Presseverlautbarung zum Album "Brand New Day" heißt es zu Inhalt und Entstehung des Liedes: "The song is about longing... sexual longing, romantic longing, within a larger context, which is philosophical longing for meaning or God or whatever. I asked Cheb Mami to compose Arabic lyrics. I gave him the counter melody, but didn't tell him what the song was about. He came back a few days later and started to sing. When I said 'What are you singing about?' he replied, 'Longing.' I said, 'Well, it's very strange you should day that.' But it does prove my theory that the music was writing the songs." Im Clip sieht man Sting im Fond eines Wagens mit einer Chauffeurin durch eine wüstenähnliche Landschaft fahren. In der Hand hält er eine Digitalkamera, mit der er spontan Aufnahmen macht. Er nickt ein und nach und nach schießen ihm Bildfragmente durch den Sinn. I dream of rain / I dream of gardens in the desert sand / I wake in pain / I dream of love as time runs through my hand / - / Sweet desert rose / This memory of Eden haunts us all / This desert flower, this rare perfume / Is the sweet intoxication of the fall. (Der Anklang an Jesaja 51,3 ist unverkennbar: er "macht ihre Wüste wie Eden und ihr dürres Land wie den Garten des Herrn, dass man Wonne und Freude darin findet"). Die Flut der Bilder ist getragen von wiederkehrenden Polaritäten: Wasser und Feuer, Wüste und Garten Eden, Verführung und Fall, Realität und Traum, Bild und Wort, Nüchternheit und Rausch, Natur und Zivilisation, Sonnen- und Kunstlicht, Mann und Frau, Licht und Schatten, Bewegung und Stillstand - und all dies verbunden mit einem Gefühl der Uneindeutigkeit: I realise that nothing's as it seems. Wir sind Umherrirrende auf unserer Lebensbahn, getrieben und gezogen vom Begehren nach Liebe, nach Sinn und Erfüllung.  


Zlatko: Ich vermiss dich wie die Hölle

Die Lektüre dieser Spalte kann man sich auch sparen. Sie handelt vom Big Brother Produkt Zlatko und seinem Wolfgang Petri Verschnitt "Ich vermiss dich wie die Hölle". Aber unbestreitbar findet sich dieses Lied in den European Top Ten, ist sein Sänger zur Zeit bekannter als fast jeder andere Deutsche, genießt er Kult-Status, widmen ihm zahlreiche Internetseiten ihre Aufmerksamkeit. Interessant ist weniger das Produkt an sich ("ein feistes, gesundes und wohlgenährtes, sozusagen gutgemästetes arkanisches Schweinchen"), sondern das erfolgreich und lautstark vorgetragene Lob der Torheit: Jeder Tag ist eine Qual / Ob nun Shakespeare oder Goethe / Die sind mir doch scheißegal / Denn ich vermiss dich wie die Hölle / Und du fehlst mir so total. Abgesehen vom Sinn des Satzes mit der Hölle (hier ist wohl eher das umgangssprachliche höllisch gemeint), fällt der wiederholte negative Bezug auf die Hochkultur auf: Ich bin nicht Shakespeare oder Einstein / Bin nicht Picasso oder Bach. Möchte er denn? Natürlich nicht. Zlatko im Interview: Wer war Shakespeare? Zlatko (spielt auf der Gitarre): Sag mal ehrlich, muss man den kennen? Kerstin: Vom Namen her, Shakespeare? Zlatko (spielt die Melodie von Smoke on the water): Doch, den kenn ich schon. Wenn du mich aber fragst, was der alles gemacht hat, keine Ahnung. Ob der Romane geschrieben hat, Filme gemacht hat oder Dokumentationen. Keine Ahnung. Warum auch. Seit Jahrhunderten besticht die Torheit mit der Einsicht, Tor zu sein bedeute Mensch zu sein. So liegt es nahe, parallel zur Beschäftigung mit Zlatkos gestammelten Bekenntnissen das "Lob der Torheit" des Erasmus von Rotterdam zu lesen. Die Torheit spricht das Plädoyer der triumphierenden Authentizitätskultur: "Mir hat es jedoch stets ein Vergnügen bereitet, zu reden wie mir der Schnabel gewachsen ist." - "Steht es mir nicht schon auf Gesicht und Stirn geschrieben, wer ich bin? ... Bei mir gibt es weder Schminke noch Verstellung: Wie ich äußerlich erscheine, so sieht es auch in meiner Seele aus. Ich bleibe mir stets gleich." Wie heißt es bei Sophokles: "Im Unverstand nur ist das Leben schön". 


© Andreas Mertin 2000
Magazin für Theologie und Ästhetik 7/2000
https://www.theomag.de/07/am19.htm