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Magazin für Theologie und Ästhetik


"Du bist der Erlöser"

Auf der Suche nach Jesus in den Neuen Medien

Andreas Mertin

Die Frage nach Religion im Cyberspace

Es gehört zu den faszinierenden Ereignissen der jüngeren Literaturgeschichte, dass ein Autor, der von der Sache selbst nichts oder doch nur wenig verstand, eine Textfolge schrieb, die im Anschluss von den Beschriebenen in Wirklichkeit umgesetzt wurde. Wer wissen möchte, auf welchen Gedanken nicht nur der Kultfilm Matrix basiert, sondern auch große Teile des Internets, sollte bei William Gibson nachlesen. Als dieser seine berühmte Romantrilogie(1) über den Cyberspace schrieb, noch bevor der Cyberspace wirklich existierte (und damit dem Cyberspace zugleich seinen Namen gab), widmete er sich in allen drei Romanen auch religiösen Grundfragen.

Timothy Leary hat deshalb diese Romanfolge in der ihm eigenen Übertreibung als das Neue Testament des 21. Jahrhunderts bezeichnet. Während der erste Cyberpunkroman Neuromancer der Frage nach der möglichen Subjektivität von künstlichen Intelligenzen nachgeht, stellt der zweite Roman Biochips die Frage nach dem absoluten Kunstwerk und nach dem Leben des Absoluten, also nach Gott. Gibsons drittes Epos Mona Lisa Overdrive stellt die Frage, ob sich menschliches Leben in den Cyberspace überführen lässt und so der einzelne ewiges Leben gewinnen kann. Die in der Romantrilogie leitenden drei Fragen: Wer bin ich? - Wo komme ich her? - Wo gehe ich hin? sind genuin religiöse Fragen und sie haben einige von jenen beeinflusst, die später das Internet ausgestaltet haben. Auch wenn das Netz heute vor allem eine kommerzielle Zerstreuungsmaschine ist, sind einige dieser religiösen Grundzüge weiterhin erkennbar. Jesus Christus spielt in der Cyberpunk-Trilogie keine Rolle, hier wird die Frage nach Religion abstrakter und konkreter zugleich gestellt.

Im Kinofilm Matrix - der als kulturindustrielle Bestreitung der Interneteuphorie Gibsons gelesen werden kann - wird zwar auch nicht nach Jesus, wohl aber nach dem Erlöser gefragt, der im und jenseits des Netzes die Menschen aus ihrer Knechtschaft befreien kann. Auch er, im Film mit dem Namen Neo, einem Anagramm für ONE(2) versehen, muss zunächst sterben und wiederauferstehen, bevor er die Menschen mit der universalen Botschaft der Freiheit konfrontieren kann. Dann aber erschöpfen sich die Gemeinsamkeiten mit Jesus Christus. Der Erlöser der Matrix ist gewaltbereit und gewalttätig, er kämpft den Kampf dieser Welt, auch wenn er am Ende lernen muss, dass Gewalt allein die Welt nicht zu verändern vermag. In dieser Matrix begegnet man Jesus jedenfalls trotz aller offenkundigen Anspielungen nicht.

Jesus im Internet?

Nicht viel anders ist das, wenn man sich dem Internet zuwendet. Wer das Wort Jesus in eine Suchmaschine eingibt, erhält zunächst eine unüberschaubare Fülle von Verweisen. Allein Alltheweb benennt 2.110.512 Webseiten. (Die Frage nach Buddha würde nur 200.000 Seiten ergeben). Und auf was trifft man? Schrott, Schrott, Schrott. Es ist wirklich unglaublich. Hier wird deutlich, wie wichtig sortierende Anlaufstellen im Netz in Zukunft sein werden. Die erste Adresse verweist auf die Mormonen, die zweite auf die Seite der Juden für Jesus, die dritte auf eine kommerzielle Seite für Jesusbanner. Und auch die erste deutschsprachige Adresse mit dem bezeichnenden Titel Jesus-online verweist keineswegs auf Jesus Christus, sondern lässt uns (nur) Gott begegnen. Wo bleibt dann, so fragt man sich angesichts des Namens der Web-Domain, Jesus Christus? Zudem hat die Seite die unangenehme Eigenschaft, dass man - einmal auf ihr gelandet - nicht wieder heraus kommt. Ein fast schon typisches Beispiel von christlichem Absolutismus.

Erweist sich der Zugriff über die allgemeinen Suchmaschinen als unproduktiv, so ist auch die Annäherung über deutschsprachige Suchmaschinen nicht produktiver. Die deutsche Meta-Suchmaschine MetaGer verweist an erster Stelle auf Jesus.de, wiederum ein evangelikaler Angriff auf die Nerven. Wer auf die entsprechende Website zugreift, bekommt zunächst eine fast leere Seite zu sehen, die nur eine einzige Zeile enthält: Sie sind hier auf dem falschen Pfad ... Der rechte Weg ist hier! Das hier ist verlinkt und soll den Besucher auf die eigentliche Startseite der Website weiterführen. Das kann man sich sparen. Die zweite Adresse verweist überraschenderweise auf Marius Müller Westernhagen und sein Jesuslied, im religionspädagogischen Kontext durchaus nutzbar, aber eigentlich nicht das Ziel der Recherche. Die dritte Adresse Evangelium.de stellt zumindest einige zentrale Fragen zu Jesus, bleibt aber letztlich doch in einem recht schlicht gestrickten Rahmen. Viel Produktives gibt es auch bei den folgenden Verweisen nicht mehr.

Selbst die spezialisierten Internet-Kataloge fördern nur Unproduktives oder Altbekanntes zutage. Wer sich auf Dino.de über Gesellschaft & Soziales -> Kirche und Religion -> Christentum auf die Karteikarte -> Jesus von Nazareth durchgeklickt hat, stößt auf die schon vertraute Auswahl von christlichen Domains in mehr oder minder schlichter Aufmachung, darunter unter der mehr als kryptischen Überschrift JESUS CHRISTUS. Die 5 Wichtigen Punkte Aber. eine computergenerierte und deshalb kaum zu ertragende Übersetzung diverser Bibelstellen. Weiterbringend ist in diesem Sammelsurium nichts.

Recherche im Reliweb

Bleibt zunächst nur der an sich von vornherein empfehlenswerte Zugang über eine spezialisierte Datenbank, wie sie das reliweb darstellt, welche alles Wichtige in Form von bewerteten und kommentierten Links zusammenträgt. Hier erbringt die Recherche nach dem Stichwort Jesus 24 überschaubare Hinweise, beginnend mit einem mit 5 Sternen bewerteten Seminarskript der Universität Linz (JESUS, der Mensch, der in kein Schema passt. Die "Eckdaten" des Lebens Jesu. Das Faszinierende an Jesus. Jesu Grenzen. Jesu Botschaft vom Reich Gottes. Auferstanden von den Toten - Wahrheit oder Legende? Jesus der Sohn Gottes). Eine weitere Empfehlung des reliweb bezieht sich auf dieselbe Quelle und beschäftigt sich mit den Wundern Jesu. Eine weitere Adresse wendet sich weniger Jesus selbst, als vielmehr den ihn umgebenden Figuren zu. Hier findet man "3 Jesus-Geschichten aus der Ich-Perspektive von Gestalten aus der Umwelt Jesu". Erwähnt seien noch einige der weiteren Angebote: "Vor 2000 Jahren in Galiläa und Jerusalem - Was wissen wir über Jesus von Nazaret? (Oder die Frage nach dem historischen Jesus: Kurz und bündig) von J. Gnilka." Oder: Jesus (Isa) aus islamischer Sicht (geschrieben von einem deutschen Muslim). Und schließlich: Alte Texte erklärt für Leser von heute insbesondere zur Person Jesu (Prof. Claus-Peter März Theol. Fakultät Erfurt).

Äußerst spektakulär präsentiert sich zunächst "Jesus at the Cyberchurch?". Unter den Klängen des Startrek-Zyklus öffnet sich die Homepage der Theologen Frank Ulhorn und Kay Oppermann. Was noch ganz interessant startet, lässt aber schon auf der dritten Seite den langen Atem fehlen. Die Metapher, mit der die Seite eingestiegen ist - wie verkündet man Jesus in künftigen Zeiten? - wird nicht wieder aufgegriffen, statt dessen nur ein konventionelles kirchliches Angebot - freilich mit musikalischen Highlights.

Relativ gut, leider aber nicht die Möglichkeiten des multimedialen und vor allem verlinkbaren Internets ausschöpfend ist das Angebot des bayrischen Evangelischen Magazins "Aufgeschlossen" von 1997 zum Thema Jesus Christus. Angeboten bekommt der Besucher neben einem Vorwort folgende Punkte: Historische Fakten / Jesus der Jude / Prominente über Jesus Christus / Jesus als Spiegelbild unserer Kultur / Die Sprache Jesu / Jesus im Film / Christus und die Esoterik / Glaube und Tod / Jesus - eine Frau? / Sind Götter Menschen? So gut diese Seite auch ist, so ist sie letztlich nur eine Umsetzung vom Printmedium ins Internet.

An sich sucht man aber Informationen über Jesus Christus zunächst bei den Webseiten der großen Kirchen. Und einige der Empfehlungen des Reliwebs haben ja schon auf Seiten der katholischen Kirche verwiesen. Tatsächlich findet man bei den großen Kirchen vor allem viele Texte, viele Erläuterungen, woran es mangelt, ist ein ganzheitlicher Einstieg, der etwas von der Faszination des christlichen Glaubens spüren lässt.

Fazit

Im Vergleich zu den traditionellen Medien und ihrer spezifischen Thematisierung der Jesus-Frage ist das Internet noch nicht auf dem Stand der Zeit. Bis es hier nachgezogen hat, wird es noch einige Zeit dauern.

Anmerkungen
  1. W. Gibson, Neuromancer, München 1987. Biochips, München 1988. Mona Lisa Overdrive, München 1989.
  2. Der 'normale' Name von Neo ist Thomas Anderson, was Son of Man bedeuten soll.

© Andreas Mertin 2000
Magazin für Theologie und Ästhetik 7/2000
https://www.theomag.de/07/am17.htm